QUEST: DER WALD/SUMPF
NERO VALERIUS - ARUNI
Als die ersten Sonnenstrahlen den fast schwarzen Himmel in ein dunkles Violet tauchten, erwachte der Rappe blinzeln. Selbst nach all den Wochen war es nach wie vor ungewohnt, dass sein Blickfeld sich um die Hälfte reduziert hatte. Das erste was er stets tat war, die Luft nach fremden Gerüchen abzusuchen - welcher er in diesem Moment jedoch nicht fand. Das zweite war, den Kopf zu erheben und seine Umgebung zu sondieren. Die langen Schatten der Bäume ragte über ihren Körpern, Aruni schien noch tief und fest zu schlafen. Nero wusste nicht, ob er sie überhaupt irgendwann Mal hatte schlafen sehen. Egal, er weckte sie noch nicht, blieb ebenfalls liegen und tastete mit seinem verbliebenen Auge ihren ruhenden Körper ab.
Flackernde Bilder hatten ihn vergangene Nacht eingeholt. Bilder von Thar, einem Besuch beim Herrscher des Landes und von Kýra, die viel zu jung war, als dass er der Forderung des Kaiser hätte nachkommen können. Ein Tausch... Nero stockte. Das konnte doch nicht sein? Doch bevor er seine Gedanken weiterspinnen konnte, regte sich der Körper der Cremello und sie erwachte, schrak hoch und schaute sich für wenige Sekunden panisch um.
"Die Sonne geht gerade erst auf...", begrüßte er sie leise und schüttelte seine dichte Mähne, in der sich vereinzeltes Laub verfangen hatte. Wieder zuckte sie, starrte ihn an.
"Ich.. Oh...", der Seufzer der ihrer Kehle entstieg klang erleichtert und die Anspannung fiel beinahe gänzlich von ihrem Körper. Ob sie auch von Träumen heimgesucht wurde? Nero hätte sie gerne gefragt, doch er hielt sich zurück, begann sich lieber zu strecken und zu erheben. Aruni tat es ihm gleich, eilig als wäre es eine Aufforderung gewesen.
"Ich werde kurz an den Bach gehen.", erklärte Nero und trat an sie vorbei durch die Sträucher der Lichtung an den Bach heran, der wenige Meter dahinter lag. Er löschte seinen Durst, danach sondierte er abermals ihre Umgebung. Die Dichtheit des Waldes beeindruckte den Rappen, kein Licht schien durch das kräftige Blätterdach der Bäume zu dringen. Fast war es, als würde man von der Dunkelheit verschluckt werden. Unheimlich und verheißungsvoll zugleich. Aruni folgte mit etwas Abstand, trank ebenfalls und inspizierte die kleinen Glühwürmchen, die dicht über der Wasseroberfläche ihren letzten Tanz für diese Nacht tanzten. Sie wirkte fasziniert, Nero schwieg.
...
Mittlerweile wurde der Wald in ein diffuses Licht getaucht und die beiden Pferde setzten ihren Weg weiter fort, dem Bach folgend, den sie seit dem gestrigen Tag nicht aus den Augen gelassen hatten. Aruni hatte einige Kräuter gefunden die sie kannte - was sonderbar schien, da es sich um Gewächse handelte die offensichtlich auch in der Wüste überlebten - und besprach mit Nero ihren Nutzen um das Schweigen, dass zwischen ihnen hing gelegentlich zu unterbrechen. Der schwarze König hörte ihr aufmerksam zu, stellte Fragen und versuchte so einen Draht zu der Cremello zu finden. Abschweifungen seinerseits, die zu ihrer Heimat führten, beantwortete sie spärlich bis gar nicht, verschloss wieder das Fenster welches sie einen Spalt geöffnet hatte.
Doch das hielt den Rappen nicht davon ab, immer wieder sanft nachzufragen, hoffend, dass sie ihm vielleicht bei der nächsten Frage einen Einblick in ihr Leben gestattete. Es lenkte ihn ab, beschäftigte seinen Geist, der sich seit Wochen nur mit seiner verschwundenen Gemahlin und seinen Verpflichtungen beschäftigte. Es war erholsam, wenngleich er ihr Leid nicht als Zuflucht nutzen wollte.
...
Wenige Stunden später erreichten Aruni und Nero das Ende des kleinen Bächleins. Es mündete in einem kleinen Teich, mitten im Wald. Dicke Wurzeln ragten am Ufer empor und der womöglich älteste Baum thronte auf einer leichten Erhöhung direkt hinter dem Teich. Sein Stamm war dicker als Nero von Rumpf bis Schweifansatz lang war und Wipfel verschwand in den Kronen der niedrigeren Bäume. Ehrfürchtig blieben sowohl Nero als auch Aruni stehen. Der Ort hatte etwas magisches, abgeschiedenes und einzigartiges an sich. Der schwarze König konnte es nicht benennen, aber eine unausgesprochene Verbundenheit drang in seinen Verstand, erfüllte ihn, begrüßte ihn wie einen...
"Raste mein Freund.", eine fremde und doch bekannte Stimme hallte in seinem Inneren wieder. Nero schluckte.
Eine braune Hirschkuh trat um den Stamm herum. Ihre dunklen, intelligenten Augen musterte die beiden Pferde wissend und doch auch fragend, als hätte sie ihn zwar erwartet, doch in anderer Gesellschaft. Nero hielt die Luft an, vage Erinnerungen an fiebrige Träume spülten seine Geist, ließen ihn verwirrt zurück.
"Sie hat die Prüfung also nicht bestanden.", die Lippen der Hirschkuh bewegten sich und doch schien es, als würde die Stimme in seinem Kopf erklingen. Nero blinzelte, ein trauriger Ausdruck legte sich auf das Gesicht des Reh's. Dann wandte sie den Blick ab, musterte Aruni einen langen, sanften Moment. Es schien, als würden die Mundwinkel des Reh's kurz nach oben zucken, ehe sie sich gänzlich abwandte und in die Kronen der Bäume schaute. Ein Rabe saß dort, beobachtete sie aus Augen die wie schwarze Perlen wirkten. Er breitete seine Flügel aus und verschwand im Wald, seine Stimme nicht erhebend, lautlos fliegend. Nero schaute ihm nach, ein seltsam trauriges und zugleich erfüllendes Gefühl in seiner Brust spürend. Als er wieder zurückblickte, sich wieder der Hirschkuh widmen wollte, war jene verschwunden. Nero blinzelte, trat ein paar Schritte auf den Teich zu, doch es schien als sei das Reh nie dort gewesen.
Nero atmete langsam und bewusst sein, ehe er Aruni neben sich spürte.
"Du wolltest mich damals retten....", begann sie auf einmal und blickte auf ihr Spiegelbild im Teich.
"In der Wüste hast du uns... hast du mich gerettet.", Nero betrachtete ebenfalls ihr Spiegelbild und die Erinnerung an eine jungen Stute, kaum ein Jahr alt, flammte vor ihm auf. Er erinnerte sich an ihr seidiges, cremefarbenes Fell, an ihre lebhaften, blauen Augen - doch er konnte sie in dem Spiegelbild nicht mehr sehen. Das Mädchen war fort, zurück blieb eine blasse Hülle die lediglich versucht zu überleben.
"Konnte ich dich retten? Das fühlt sich nicht so an.", gestand der Rappe und sah in der Reflexion wie ein Lächeln um Arunis Mundwinkel zuckte. Sie nickte schwach.
...
Nero aber auch Aruni benötigten einige Minuten um die Begegnung mit dem Reh verarbeiten zu können und ihren Weg fortzusetzen. Sie zogen das Tempo etwas an, erlaubten sich zu traben, wo die Wege es zuließen. Sie entdeckten alte Spuren von Pferden, die jedoch bereits ein paar Jahre alt sein mussten. Ihr Duft war verflogen, die Natur hatte sich die Trampelpfade fast gänzlich zurückgeholt. Doch nur fast und die beiden Gefährten erkannten ein Wegesystem innerhalb des Waldes. Einige Wege führten nach Osten, an den Rand des Gebirges, wo Königskraut und Vitalkraut zu finden war. Andere führten westlich, wo fleischige unbekannte Kräuter wuchsen, deren Analyse in den Händen der Heilergilde lag.
Doch nördlich führten die Wege in ein Moor.
...
Es war bereits später Nachmittag als Aruni und Nero das Moor erreichten. Der modrig-faule Geruch hatte sie aufmerken lassen. Ihre Schritte wurden langsamer, bedachter und aus irgendeinem Grund auch verhaltener.
"Mich beschleicht ein ungutes Gefühl...", gestand Aruni mit einem Zittern in der leisen Stimme. Nero nickte schwach und doch ging er weiter. Die Bäume lichteten sich bald und vor ihnen erstreckte sich ein flaches, von Nebel verhangenes Moorgebiet, dass im Schatten einer steilen Gebirgswand lag. Nero blieb stehen, sondierte die Umgebung, hob witternd die Nüstern, doch sie waren allein. Kein Raubtier, kein anderes Pferd schien sich in ihrer Nähe aufzuhalten. Der Rappe überlegte, wägte ab und sah zum Himmel. Die Sonne würde sich in wenigen Stunden wieder gen Horizont neigen, sein Versprechen Garrus gegenüber geriet ins kippen. Doch er musste sich das Moor noch etwas genauer anschauen, einen Blick riskieren. Nicht weil er glaubte, Echo hier zu finden. Es war ein Gefühl, dass ihn voran trieb.
So betrat der Rappe den schmalen Pfand zwischen den schlammigen Tümpeln, bemerkte nur am Rande, dass Aruni ebenfalls den Weg fortsetzte. Sie kamen an abgebrochenen und umgekippten Bäumen vorbei. Skelettiertes Rotwild ruhte in den einzelnen Moorbecken, erzählten einzelne schaurige Geschichten. Nero schluckte, als er an einer Senke zum Halten kam. Dieses Becken war leer, ein Pferdeskelett ruhte dort, nebst dem riesigen Gerippe eines Bären. Die Schädel zeigten zueinander und doch wirkte es nicht wie ein Kampf, sondern als hätten sie sich einfach nebeneinander zur Ruhe gebettet. Aruni trat neben ihn, betrachtete das Bild und holte tief Luft.
In dem Moment flog ein Schatten über sie hinweg, kleine Klauen zupften an einer cremefarbigen Strähne ihrer Mähne. Aruni zuckte zusammen, war jedoch umsichtig genug nicht in ihr Verderben zu springen. Ein Rabe glitt über die beiden Skelette hinweg und setzte sich auf einen kargen Baum direkt dahinter. Seine intelligenten Augen musterten die beiden Pferde, sein Schnabel öffnete sich und ein schreckliches Krächzen erklang. Nero schluckte schwer, beobachtete den Vogel wie er sich aufplusterte, schüttelte und eine einzelne schwarze Feder zwischen die beiden Köpfe der toten Tiere taumelte.
"Eine alte Legende, ihr müsst nur jemanden finden, der sie kennt. Und dann euch fragen, ob sie wahr ist...", der Schnabel des Raben war geöffnet, doch wieder klang es so, als würde die Stimme geradewegs in seinem Kopf erklingen. Nero's Nüstern kräuselten sich nachdenklich, dann wandte er sich ab.
"Komm, wir gehen.", Aruni nickte - wohl erleichtert - und zusammen traten sie den Rückweg aus dem Moor an.
Das ungute Gefühl blieb, bis sie den Wald erreichten und jener die beiden Pferde verschluckte.